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Skulptur Projekte Münster: Nicht verpassen!
  • 01.09.2017 11:25

Wer die Skulptur Projekte Münster nicht sieht, verpasst was. Die seit 1977 im Zehnjahresrhythmus organisierte Ausstellung zeigt zeitgenössische Skulpturen im öffentlichen Raum. Dabei weichen die Kurator*innen um Kaspar König dieses Mal vom traditionellen Skulpturbegriff ab und inkludieren Arbeiten aus der Konzept- und Performancekunst. Die Meinungen diesbezüglich scheinen sich entlang demographischer Grenzen zu spalten. 

Wie so oft, stößt neues auf Widerstand. So auch die Skulptur Projekte selbst,die 1977 noch harsche Kritik durch die Münsteraner erfuhren. Glaubt man den Geschichten, so gab es Versuche die großen Betonkugeln von Claes Oldenburg am Aasee in den See zu rollen. Damals wie heute ist Vandalismus an den Werken im öffentlichen Raum eine Realität, doch hat sich die Stimmung von Abneigung längst zu Stolz gewandelt. Heute ist das Stadtbild voller Erinnerungen an vorausgegangene Skulptur Projekte und es lassen sich Werke wie Daniel Burens rot-weiß gestreiftes Tor, Otto Pienes faszinierende Installation am LWL Museum oder der verspiegelte Pavillon von Dan Graham entdecken.

Otto Piene "Silberne Frequenz" an der Fassade des LWL Museums

Otto Piene "Silberne Frequenz" an der Fassade des LWL Museums

Die Skulptur Projekte Münster sind international bekannt und zählen zu den bedeutendsten Ausstellungen im Bereich zeitgenössischer Skulptur. Trotzdem sind vielen die Skulptur Projekte vor diesem Sommer kein Begriff gewesen. Ob es sich um ein Schatten- oder Lichtdasein zur documenta handelt, gilt es hier nicht zu beurteilen. Doch ein Vergleich scheint obsolet, denn  mit nur 35 Künstler*innen verteilt auf die ganze Stadt, bleibt alles greifbar. Keine Gefahr der Reizüberflutung, wie sie anderswo in diesem Superkunstsommer erlebt wird. Die Skulptur Projekte machen einfach Spaß. Am besten erschließt man sich Werke mit dem Fahrrad, ganz im Stil der Studentenstadt Münster. Die Standorte haben die Künstler*innen selbst ausgewählt, woraus ein enger Bezug zum Ort, im räumlichen und kontextuellen Sinne, resultiert. 

Alexandra Pirici "Leaking Terretories" im Friedenssaal im Alten Rathaus

Alexandra Pirici "Leaking Terretories" im Friedenssaal im Alten Rathaus

Alexandra Pirici wählte für ihren Beitrag Leaking Territories den Friedensaal im historischen Rathaus. Die dreiteilige Performance interveniert auf geschickte Weise mit der klassischen Geschichtsschreibung. Die fünf Performer*innen kontrastieren die Portraits der beim Friedensvertragsschluss anwesenden „weißen Männer“. Die Konstruktion und Subjektivität von Geschichtsschreibung, die immer hegemonialen Machtstrukturen unterliegt, wird sowohl durch den Bezug auf die Geschichte als auch auf aktuelle Tendenzen gespiegelt. So wird die personalisierte Google Suche durch die Performer*innen imitiert und verweist damit nicht nur auf die individualisierte Konstruktion von Wirklichkeit, sondern macht auch die zugeschriebene Macht an eben diese Internetkonzerne sichtbar. 

Die Performer*innen agieren als flexible und handlungsfähige Körper im Raum, womit Alexandra Pirici den Skulpturbegriff erweitert und die Statik und Universalität der klassischen Skulptur eliminiert. 

Ayse Erkmen "On Water" im Stadthafen

Ayse Erkmen "On Water" im Stadthafen

Eine performative Erfahrung ermöglicht auch das Werk On Water von Ayse Erkmen. Die Künstlerin entwickelte mit ihrem Team über zwei Jahre eine Konstruktion aus Frachtcontainern, die als Steg am Stadthafen über den Binnenkanal führt. On Water ermöglicht den Besucher*innen, den Stadtraum neu wahrzunehmen, indem Orte neu mit einander verbunden werden und so ein Perspektivwechsel auf das Vertraute möglich wird. Der Steg verläuft wenige Zentimeter unter der Wasseroberfläche, was einerseits die Illusion erzeugt, über das Wasser zu gehen. Andererseits macht diese Gegebenheit den Menschen für die Sichtbarmachung dieses Werks unersetzlich. Hinzu kommt für Ayse Erkmen das Spiel mit den Elementen. In den Skulptur Projekten 1997 flog sie mit einem Hubschrauber, von dem sakrale Skulpturen aus dem LWL Museum herab hingen, über die Innenstadt. Ein kontroverses Werk welches damals viel Aufmerksamkeit erregte. On Water scheint weniger zu provozieren. Der spielerische Charakter des Werks zieht Jung und Alt an und es scheint, als gehöre der Steg fest in das Erschließungskonzept des ehemaligen Industrieareals.

Eine vollkommen neue Raumwahrnehmung gilt es in After ALife Ahead von Pierre Huyghe zu erfahren. Zumindest für diejenigen, die die ehemalige Eissporthalle vor den aufwendigen Umbauarbeiten des Künstlers kannten. Am Eingang warnt ein Schild „Achtung Bienen“. Nur ein kleiner Hinweis auf die künstlich geschaffene Biosphäre im Inneren der Halle. Der Boden der Halle wurde aufgerissen und bis zu drei Meter tief abgetragen. Man wandelt über Lehm, Sand und Wasser vorbei an Ameisenhügeln, die bizarren Skulpturen ähneln. Hinzu kommt ein Aquarium, automatisch öffnende Deckenfenster und Agumented-Reality, was nur mit einer eigens konzipierten Smartphone-App sichtbar ist. Ein komplexes System aus Biologie und Technik, dessen Interaktion in dieser dystopischen Landschaft visualisiert wird. 

Tom Burr und Cosima von Bonin "Benz Bonin Burr" vor dem LWL Museum

Cosima von Bonin/ Tom Burr "Benz Bonin Burr" vor dem LWL Museum

In einen interessanten Dialog mit der klassischen Skulptur treten Cosima von Bonin und Tom Burr mit ihrem Werk Benz Bonin Burr. Vor dem LWL Museum steht ein Tieflader auf dessen Ladefläche eine große schwarze Holzkiste steht, die mit Sicherungsseilen fixiert ist. Während die einen an dem Laster vorbei schauen, stutzen die anderen. So blitzend sauber, direkt vor dem Haupteingang und das während der Skulptur Projekte- das ist entweder schlechte Organisation oder Kunst. In diesem Fall natürlich letzteres, verbunden mit dem Hinweis auf die sonst unauffälligen Prozesse des globalen Leihverkehrs. Mit neuer Aufmerksamkeit wird auch die Bronzeskulptur von Henry Moore, die dauerhaft vor dem LWL aufgestellt ist, versehen. Das sonst statische Objekt, bekommt einen neuen Kontext, eine imaginäre Geschichte. 

In Münster gibt es viele gelungene Werke, die auf sehr freie Art, die Betrachter*innen zum Genießen, Denken und Handeln einladen. Die Politik der Barrierefreiheit gelingt den Initiatoren durch den Verzicht auf Eintrittsgelder oder museale Monumentalität. Stattdessen mischt sich die Kunst mit den Menschen. Der Trubel rund um die Werke schafft neue Beziehungsnetzte, die in ihrer Intensität so in kaum einer anderen Ausstellung erlebt werden können. Wer nicht zehn Jahre auf die nächste Möglichkeit warten möchte, sollte sich bis zum 1.Oktober 2017 noch die Zeit nehmen, um die Skulptur Projekte in Münster zu besuchen. 

 

Autorin: Isabelle Demin